Ein Essay über den Versuch, das zerstörerische Verhalten der Menschheit zu verstehen.
Lesezeit ca 15 min
Inhalt:
Wie wir uns als Bewohner der Erde verhalten/ Der blinde Fleck/ Egoismus/ Die kollektive, geistige Seuche namens Wetiko/ Wie innen so außen: Archetypen und Mythen/ Der Übergang/ Weg zu einer neuen Geschichte
Otto Raich, im Jänner 2022
Wie wir uns als Bewohner der Erde verhalten
Die Auswirkungen des destruktiven menschlichen Umgangs mit der wunderbaren Erde und seinen BewohnerInnen sind so deutlich sichtbar wie noch nie zuvor:
Mit wenigen Ausnahmen lassen sich die Konsequenzen menschlichen Handelns der letzten 2000–5000 Jahre auf Natur und Umwelt als radikale Zerstörung der Lebensgrundlagen zusammenfassen: Viele Flüsse sind vergiftet, Meere mit Plastik vermüllt, Böden mit Herbiziden und Pestiziden verseucht und auslaugt, Luft mit Feinstaub und Schadstoffen verschmutzt. Damit einhergehend erleben wir den menschenverursachten Klimawandel mit den Auswirkungen auf Feuer und Wetterextreme und das 6. große Artensterben (Mass Extinction).
Gleichzeitig haben sich in diesem Zeitraum die Menschen in kriegerischer und gewalttätiger Absicht in einem unvorstellbaren Ausmaß entweder direkt getötet oder verschleppt, versklavt und zur Migration gezwungen. Die gezielte Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, das unvorstellbare Ausmaß von den Tieren zugeführtem Leid, die gezielte Ausnützung von Menschen, von ganzen Völkern, Regionen und Minderheiten ist nach wie vor am ganzen Globus an der Tagesordnung und repräsentiert dabei das Normale.
Mit jeder Krise – sei es eine Finanz-, Immobilien,- Gesundheitskrise oder andere Krise- werden die wenigen Reichen noch reicher und die vielen Armen noch ärmer, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich in atemberaubender Geschwindigkeit immer weiter.
Dass die menschliche Verrohung in manchen Bereichen sogar noch am Zunehmen ist, kann man unter anderem auch daran erkennen, dass „Targeted Killing“, die Tötung von verdächtigen Personen ohne Gerichtsverhandlung im jeweiligen Ausland, zur neuen Normalität geworden ist.
Es gibt mittlerweile einen breiten Konsens in der Gesellschaft, dass dies alles zwar sehr schlimm ist, gleichzeitig führt das Erkennen und Betrachten des zerstörerischen Handelns samt seinen leidvollen Konsequenzen eigenartigerweise NICHT zu einem breiten Umdenken bzw. zu einem neuen Verhalten, das auch nur im Ansatz die Brisanz widerspiegeln würde, welche auf Grund des permanent erzeugten Leids zu erwarten wäre.
Die Reaktion auf das fortwährende Dilemma beschränkt sich hauptsächlich auf die Hoffnung, dass der technische Fortschritt das ökologische Überleben ermöglichen wird und gleichzeitig die Ökonomie auch immer weiter wachsen kann. Ohne dabei eine Vision mitzudenken, wie das menschliche Leid auch nur im Ansatz verringert werden könnte. Im Gegenteil, demokratiefeindliche Strömungen wie z.B. der Libertarismus befinden sich im Aufwind.
Der blinde Fleck
Was man nicht denken kann, kann man nicht tun. Es scheint im kollektiven Denken so etwas wie einen „Software Bug“, einen im Denken eingebauten Fehler, zu geben, also einen „blinden Fleck“ im kollektiven Bewusstsein, der dafür sorgt, dass dieses wahnsinnige, zerstörerische und gewaltvolle Handeln zwar als schlimm erkannt wird, es aber offenbar keinen inneren Raum dafür gibt, die Gewaltgeschichte komplett und radikal zu beenden und das Zusammenleben aller Menschen und Lebewesen mit der Natur und dem Planeten in gegenseitiger Wertschätzung, Liebe und Fürsorge neu zu organisieren.
Das Unvermögen eine andere, bessere Welt denken zu können, hält die Menschheit in diesem, dem Untergang zueilenden Verhalten, gefangen. Wäre unser Denken und unser Handeln wirklich frei, wäre es schwer vorstellbar, dass wir bewusst solche Zustände und solche Höllen auf Erden immer weiter kreieren würden.
Was macht dann unser Denken und Handeln so unfrei? Dazu ein paar Versuche sich dieser Frage anzunähern:
Egoismus
Auf der individuellen Ebene ist es wohl die Gier, das „Habenwollen“ von materiellen und geistigen Gütern, Macht, Ansehen, Beziehungen und die Bereitschaft für das Befriedigen der eigenen Bedürfnisse andere Menschen, andere Wesen und die Natur für die eigenen Zwecke auszunützen und zu missbrauchen. Das, was gemeinhin als egoistisches Verhalten zusammengefasst wird.
Es ist zu bezweifeln, dass die Entscheidung für das beschriebene Verhalten losgelöst vom Kollektiv, individuell und bewusst den Konsequenzen ins Auge sehend, getroffen wird.
Der Mensch existiert eben nicht getrennt von seiner Umgebung, er ist Teil eines größeren Systems. Das individuelle Bewusstsein erlebt sich als ein Teil des kollektiven Bewusstseins.
Wenn das egoistische, selbstbezogene Verhalten sogar im Wertesystem einer Gesellschaft propagiert wird, handelt ein Großteil der Gesellschaft so.
Die Systeme Kolonialismus, Imperialismus, Nationalismus, Kapitalismus, Neoliberalismus und Libertarismus wären ohne den Egoismus nicht denkbar.
Die kollektive, geistige Seuche namens Wetiko
Ein Erklärungsansatz für das kollektive, gewaltvolle Handeln kommt vom Ethnologen Jack D. Forbes. Er beschreibt in seinem Buch „Columbus and Other Cannibals“, dass bereits nordamerikanischen Ureinwohnern das Phänomen des überbordenden Egoismus bekannt war und von diesen als „Wetiko“ bezeichnet wurde.
Wetiko, bzw. die „Wetiko Seuche“ wurde von den First Nations als Geisteskrankheit beschrieben, welche sich wie ein Virus ausbreiten kann.
Wetiko bedeutet wortwörtlich übersetzt „Kannibalismus, (….) das Konsumieren eines anderen Lebens (sei es Mensch oder Natur) zum Zwecke des eigenen privaten Profits (….)“. Wetiko trat vereinzelt auch bei Stammesmitgliedern der Ureinwohner auf. Nach dem Eintreffen der weißen Menschen im 15. und 16. Jahrhundert, wurde diesen aber von den Ureinwohnern attestiert, dass die gesamte weiße Rasse von dieser Geisteskrankheit befallen war. Forbes schreibt unter anderem: „Dieses Leiden Wetiko ist die größte epidemische Krankheit der Menschheit“.
Wetiko – oft auch als das „geistige Virus“ bezeichnet, basiert auf der tiefsitzenden Illusion, dass man sich selbst als eine von allem getrennte, isolierte Persönlichkeit wahrnimmt. Also im Kern verwandt mit dem, was wir im Westen gemeinhin als Ego, den selbstsüchtige Teil der Persönlichkeit, bezeichnen. Diese isolierte Perspektive bringt mit sich, dass andere entweder als Konkurrenten oder als Beute wahrgenommen werden.
In einer Weltsicht, in welcher Angst das grundlegende Gefühl darstellt, erscheinen Kampf und Ausbeutung als rational, Empathie aber als irrwitzig und sentimental.
Das Tragische ist, dass Wetiko unerkannt im Schatten unseres Bewusstseins operiert. Wir infizieren uns selbst und andere unbemerkt. Wie Forbes schreibt, wird das geistige Virus Wetiko in uns mit autoritären Familienstrukturen, Verhalten männlicher Dominanz, der Unterwerfung von Frauen, einer extrem negativen Einstellung zum Sex und der Überzeugung einer rassistischen und kulturellen Überlegenheit, konditioniert.
Wetiko hat unsere Herzen betäubt und unsere Fähigkeit gelähmt, sowohl die Heiligkeit als auch den Schmerz von allem Lebendigen zu fühlen. Unzählige Lebewesen kommen um, weil wir unserer Fähigkeit fühlen zu können, verlorenen haben.
Es scheint, dass Wetiko heute nach 5000 Jahren Patriarchat, 500 Jahren Kapitalismus und 50 Jahren Neoliberalismus so ziemlich alle Lebensbereiche unseres modernen Lebens bestimmt, und dies fast weltweit. Der Umstand, dass wir die eingangs beschriebenen Zustände und Zerstörungen nicht nur verursachen, sondern vieles davon auch noch als Erfolge feiern, zeigt deutlich, dass wir uns als Menschheit massiv mit Wetiko infiziert haben und sich das Wetiko Virus über den gesamten Erdball ausgebreitet hat.
Das ICH mit der Gier nach mehr steht über dem WIR und über dem Gemeinwohl.
Der feste Glaube, dass dies alles normal und alternativlos sei bedeutet aber auch, dass Wetiko offensichtlich einen inneren Mechanismus besitzt, der weitgehend sicherstellt, dass Wetiko als sprichwörtliche Geisteskrankheit oder Seuche gar nicht erkannt wird. Ein eingebauter Wetiko – Selbstschutz vereitelt dessen sichtbar werden.
Wie innen so außen: Archetypen und Mythen
Paul Lewy greift in seinem Werk „Dispelling Wetiko: Breaking the Curse of Evil“ die Ideen von Forbes auf und beschreibt Wetiko als einen, im kollektiven (Unter-) Bewusstsein wirksamen Archetyp, ein unterbewusst wirksames Strukturprinzip im Sinne der Archetypenlehre nach C.G. Jung.
Wobei der Archetyp dämonischer Natur ist. „Dämonisch“ ist hier aber im ursprünglichen Sinne als ein neutrales, kreatives und erschaffendes Prinzip gemeint, und nicht in der durch das Christentum entstandenen teuflischen Bedeutung.
Erst wenn der potenziell neutrale dämonische Archetyp nicht kreativ und spirituell gelebt wird, verkehrt er sich ins Negative und wirkt zerstörerisch.
Insofern ist die Heilung des als Weitiko auftretenden, negativen dämonischen Archetypus dann der Archetyp des inneren Künstlers, der die Lebensgestaltung als kreative Kunst versteht und der erkennt, dass das gesamte Leben und auch die Materie mit Spirit – mit Geist – durchdrungen und miteinander verwoben ist. Was aber wiederum einen sich selbst als frei erlebenden Geist voraussetzt.
„Wie Innen so außen“ bedeutet, dass unser Handeln in erster Linie von der „inneren Geschichte“, dem im Unterbewussten wohnenden Mythos, dem inneren Narrativ determiniert wird. Dem zu Folge gilt es herauszufinden, welcher inneren Story wir folgen.
Die Frage ist also an dieser Stelle, welcher Ursprungsmythos als sinnstiftende Erzählweise in einer Kultur erzählt wird.
In unserem westlichen Kulturkreis wird die Erzählung vom Garten Eden und dem Sündenfall aus der Tiefe des Unterbewusstseins das kollektive Handeln geprägt haben.
Der Mythos (das unterbewusst wirksame Narrativ) erzählt, dass es einen Garten Eden gab, ein Paradies auf Erden mit Einheitsbewusstsein.
Eva (die Frau!) hat das Verbot gebrochen und damit die Trennung herbeigeführt, den Schritt aus der Einheit in die Dualität und in die Selbsterkenntnis, der Mensch ist nun Gottes gleich, der Auftrag lautet, macht Euch die Erde untertan.
Seitdem geht es auf der Erde in erster Linie um Sünde und Leiden, das Paradies aber, das Spirituelle und Göttliche wurde in den Himmel verbannt und wartet dort auf uns in der Zeit nach unserem Tode.
Dazu kommt, dass im Unterschied zu den Mythen und Geschichten von ursprünglicheren Völkern, im Westen seit langer Zeit den Pflanzen, Tieren, Flüssen, Meeren, der gesamten Materie und allen irdischen Phänomenen jeder Spirit, jedes Bewusstsein, abgesprochen wird.
Dieser Umstand macht in Konsequenz, zusammen mit fehlender Empathie und fehlendem Mitgefühl, den Raubbau und den gewaltvollen Umgang mit der Natur leicht.
Wenn nun der Mensch aber im Innersten ein geistiges Wesen ist, mit einer Seele, einem fühlenden Herzen, und auch fähig sich seiner Göttlichkeit bereits auf Erden im irdischen Leben bewusst sein zu können, und diese Fähigkeit wird Ihm genommen, die im Menschen innewohnende Göttlichkeit in Abrede gestellt und Kindern in der Erziehung diese Fähigkeit aberzogen, dann bleibt dort, wo normalerweise die Seele und Ihre Teilhabe am Göttlichen erfahren wird, ein tiefes Loch, ein Vakuum. Dieses Vakuum wird fühlend als unerfüllte Sehnsucht erlebt und das Vakuum will gefüllt werden.
Die gemeinsame Geschichte, die momentan erzählt wird ist jene, dass es mit dem Erwerb und Konsum von materiellen und intellektuellen (oder auch spirituellen) Gütern gelingen wird, das innere Vakuum zu füllen und dann glücklich zu werden.
Wie dies nicht gelingt und wohin der Konsumrausch bisher geführt hat, wurde eingangs beschrieben.
Der Übergang
Welche Bedingung bräuchte es, um den blinden Fleck erkennen zu können? Das Wahrnehmungsfeld bzw. Sichtfeld muss größer sein, als der Rahmen in welchen das beschriebene zerstörerische und gewalttätige Verhalten als normaler, legitimer und einziger Handlungsrahmen gilt. Daraus folgt die Aufgabe für jeden Menschen, einen (inneren) Ort zu suchen und zu finden, der gewissermaßen außerhalb des bisher gewohnten Erlebnisrahmens liegt, das Gewohnte übersteigt, um im vergrößerten Gesichtsfeld frei zu werden die bisher gelebte Geschichte, das bisher dominante Narrativ, den bisher wirksamen Archetypen als solchen zu erkennen.
In der Erweiterung des Wahrnehmungsrahmens würde erkannt werden, dass die Idee, dass wir Menschen eine voneinander isolierte und unabhängige Identität besitzen, eine Illusion darstellt. Und diese Illusion gleichzeitig aber die Grundlage und Bedingung für das bisher dominante, konkurrierende, gegenseitig ausnützende und zerstörende Verhalten bildet.
Aus der erlebten Erkenntnis kann dann die Freiheit erwachsen, eine neue Geschichte, ein neues Narrativ zu schöpfen. Eine Geschichte, in welcher es nicht mehr das abgegrenzte ICH mit seiner Angst und dem daraus folgenden Kampf gegeneinander geht, sondern eine Geschichte, in der das Wohl der Gemeinschaft und das Wohl allen Lebens und das Wohl der Erde im Mittelpunkt steht.
Die alleinig rein intellektuelle Auseinandersetzung wird diesen Schritt nicht ermöglichen, es braucht das Herz, das Mitgefühl und die Empathie mit allen Wesen, das Mitgefühl mit der Erde als Wesen – als Anima Mundi – eingeschlossen, um die Geschichte, die wir uns derzeit erzählen, erkennen zu können und zu einer neuen Geschichte zu finden.
Eine neue Geschichte, die Materie und Spirit wieder vereint wahrnimmt, die das eigene Wohl im Wohl der anderen findet und demnach handelt.
Eines der großen Hindernisse für diesen Weg der Erkenntnis ist der bereits beschriebene Wetiko Selbstschutz: Ein Teil des bestehenden, zerstörerischen Narrativs ist die Abwertung von allem, das (noch) nicht als wissenschaftlich beweisbar gilt, das Geistige, Spirituelle, Esoterische, Magische. Also die Abwertung von Mythologien, Methoden und Dimensionen, welche über das aktuelle, dominante, zerstörerische System hinausweisen könnten.
Damit schützt sich die Geschichte davor als Geschichte erkannt zu werden. (Geschichte im Sinn von Story oder Narrativ, also nicht historisch gemeint).
Der Weg zu einer neuen Geschichte
Llewellyn Vaughan-Lee, ein Sufi-Lehrer der Naqschbandiyya-Mudschaddidiyya-Sufi-Linie und Doktor der Psychologie weist den Weg zu einer neuen Geschichte über das Erinnern.
Er beschreibt in „Heilung für die Erde: Spirituelle Verantwortung in einer Zeit globaler Krise“, dass wir Menschen die Fähigkeit zur Erinnerung an die Zeit vor dem „Sündenfall“ haben, an die Zeit, in der die Menschheit die gesamte Schöpfung als heilig erkannt und die Menschen sich selbst als „Hüter der Erde“ erlebt haben.
Wie ist es möglich sich an so frühe Zeiten zu Erinnern?
Wie Jean Gebser in seinem Strukturmodell der Bewusstseinsgeschichte zeigt, lebt jeder Mensch in seiner persönlichen Entwicklung, von der Zeugung bis zum Tode die gleichen Evolutionsschritte nach, mit welchen sich das kollektive menschliche Bewusstsein vom Anbeginn der Menschheit bis heute entwickelt hat. Vom archaischen, zum magischen, mythischen, mentalen hin zum integralen, die vorigen Stufen einschließenden, Bewusstsein.
Wenn wir uns in der Meditation mit Geduld nach innen wenden, können wir das Gefühl der Einheit mit Allem erinnern und direkt erfahren und aus dieser gefühlten Erfahrung erwächst ein neuer, größerer Bezugsrahmen.
Diese Erinnerung an das ursprüngliche Gewahrsein ist wie ein Samen, den wir für eine neue Erzählung brauchen, für eine neue Weise, mit der ERDE zu sein.
Llewellyn Vaughan-Lee schreibt: „Wir müssen an den Anfang zurück, zu dem Moment, als die Magie völlig lebendig war, als wir auf einer belebten ERDE gegenwärtig waren und all unsere Sinne wach. Dieser Augenblick, außerhalb der Zeit zu sein, ist nicht so weit weg;
er wartet in einem Land, das wir ausgeblendet und vergessen haben, das unser rationales Ich zensuriert hat. Wie dieser Samen aufblühen und gedeihen, wie eine neue Erzählung sich manifestieren wird, gehört zum Mysterium der Evolution – wie eine neue Ära entstehen kann. Aber jetzt braucht er unsere Aufmerksamkeit, braucht, dass wir ihn im Herzen halten, in unserer Vorstellungskraft und unseren Träumen. Und diesen Samen können wir nähren mit dem Kummer über das, was wir verloren haben.“
Es scheint also sehr hilfreich und wertvoll zu sein, sich dem weit verbreiteten Leid und der überall sichtbaren Zerstörung so direkt als möglich zuzuwenden, die dabei entstehende Trauer und den damit einhergehenden Kummer zuzulassen und tatsächlich auch zu fühlen.
Da die Trauer und der Kummer, wie Vaughan-Lee schreibt, den Samen für die neue Geschichte – das neue Narrativ – nährt.
Wir können die neue Geschichte nicht unabhängig und damit allmächtig erfinden, wir können uns nur von der alten, zerstörerischen Geschichte befreien.
Und dann den Samen der neuen Geschichte behutsam in Händen halten und mit unserem Mitgefühl nähren und mit liebevoller Aufmerksamkeit die von etwas Größerem getragene Entwicklung des Samens mit unserer Gegenwärtigkeit bezeugen.
Dafür bedarf es der inneren Stille, um dem Prozess den nötigen Raum geben zu können und dem Entstehen vertrauen zu können.
Don Edward Beck und Christopher Cowan greifen Ihrem Buch „Spiral Dynamics: Mastering Values, Leadership and Change“ das Strukturmodell von Jean Gebser auf, unterteilen die Bewusstseinsstufen weiter und zeigen, wie sich die jeweiligen Stufen einerseits kollektiv und andererseits individuell in Verhaltensweisen und im Umgang der Menschen miteinander auswirken. Die Stufen werden als Meme bezeichnet und diesen werden Farben zugeordnet.
Die vorherigen Meme (Bewusstseinsstufen) sind im nächsthöheren enthalten, Verhalten und Handlung entspringt im besten Fall der höchsten, individuell erreichten Stufe.
Nach diesem Modell taucht Jetzt, in unserer Zeit, im kollektiven Bewusstsein das Meme „integral-holonisch“ mit der Farbe Koralle auf. Diesem Meme ordnen Beck / Cowan die Vereinigung von Fühlen und Wissen und das Erkennen von multiplen Ebenen, verwoben in einem bewussten System, zu. Im Koralle Meme ist ganzheitlich handeln möglich. Die Emergenz einer neuen Spiritualität erscheint als ein Netzwerk von allem, was existiert.
Wie schnell sich dieses „neue“ Bewusstsein manifestiert und ausbreiten wird, und ab wann eine genügend hohe Anzahl von Menschen mit diesem Bewusstsein sich in gestaltenden Positionen in Politik, Wirtschaft, Erziehung und Bildung befinden werden, um einen globalen Wandel hin zum Guten für alle Wesen zu initiieren, wird sich zeigen.
Was diesen Prozess auf alle Fälle unterstützt, oder diesen Prozess sogar trägt, ist die Entscheidung eines jeden Einzelnen, die Forschungsreise nach innen anzutreten. Eine persönliche, intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Unterbewusstsein, um die innere Geschichte und die übernommenen Annahmen und Glaubenssätze aufzudecken, welchen gefolgt wird und welche das eigene Handeln zuvor unbewusst determiniert haben.
Unweigerlich wird sich die Illusion der Trennung auflösen und sich das Leben in einer Form zeigen, wo das Glück des anderen das eigene Glück bedeutet. Das Verhältnis zur Erde und zur Natur wird sich, basierend auf dem Gefühl der Liebe für alles Lebendige, dahingehend wandeln, dass diese als schützenswert erlebt wird und der Einzelne sich (wieder) als ein „Hüter der Erde und des Lebens“ fühlt und auch als solcher handelt.
Literatur- und Bildverzeichnis:
Paul Levi (2013), Dispelling Wetiko: Breaking the Curse of Evil, North Atlantic Books
Jack D. Forbes (1984), Die Wetiko – Seuche. Eine indianische Philosophie von Aggressionund Gewalt, Peter Hammer Verlag GmbH
Llewellyn Vaughan-Lee (2021), A Story of Beginnings,The Golden Sufi Center
Llewellyn Vaughan-Lee (2019), Heilung für die Erde: Spirituelle Verantwortung in einer Zeitglobaler Krise, Oneness Center Verlag
Jean Gebser (2015), Ursprung und Gegenwart, Verlag Chronos
Don Edward Beck, Christopher Cowan(2005), Spiral Dynamics: Mastering Values, Leadershipand Change, Verlag Wiley-Blackwell
Titelbild: Fiona Owen
Bild mit Zitat: Quotefancy

Schreibe einen Kommentar