Otto Raich, im Dezember 2022
Der Winter hat Einzug gehalten.
So wie uns jede Jahreszeit nicht nur als Wetterphänomen entgegentritt, schwingen wir in unserer Seele auch im Winter mit dessen spezifischen Qualitäten mit.
Der Sufimeister Llewellyn Vaughan-Lee beschreibt in seinem Buch “Seasons of the Sacred” die seelischen Qualitäten des Winters in einer wunderschönen poetischen Weise, die wir hier mit Dir teilen möchten:
(….) schließlich wenn die Blätter von den Bäumen fallen und sich die Äste nackt zeigen, werden wir in den Winter mitgenommen. Winter ist die Dürftigkeit, die zum Wesentlichen gehört. Sogar die Farben des Herbstes sind verblasst,
die Blätter liegen verstreut, die Stimmen und Geräusche der Tiere sind verstummt.
Der Kreislauf des heiligen Lebens begann mit einem Funken, einer Geburt, einer Möglichkeit, es folgte die Entwickelung in die Welt der vielen Formen, Farben, Gerüche – all die möglichen Variationen und Möglichkeiten des inneren und äußeren Lebens.
Dann, nach dem Herbst, kehrt das Heilige von der Form zum Formlosen zurück. Eine Rückkehr zur Essenz des Lebens, zur inneren Existenz des Herzens. Diese innere Essenz, die Formlosigkeit, ist völlig lebendig und ist völlig ganz, auch ohne Farbe, Geruch oder Ton. Die Jahreszeit des Winters ist die Zeit der Erfüllung.
Unsere derzeitige Kultur ist nicht geneigt, diese Qualitäten der finalen Jahreszeit wertzuschätzen, als ob wir uns sträuben möchten, den natürlichen Kreislauf der Natur zu folgen, nicht zulassen wollend, dass die Welt brach liegen wird.
Wir scheinen in einem endlos andauernden Sommer verweilen zu wollen, eine Zeit der Fülle und des Überflusses, ohne zur Vervollständigung, zum Abschluss, weitergehen zu wollen. Es ist, als ob uns die offensichtliche Unfruchtbarkeit und die Nacktheit des Winters ängstigen würde. Es ängstigt uns, wenn das, was geboren wurde, zu seiner Essenz zurückkehrt.
Aber ohne diesen Teil des Kreislaufs würden wir im Spiel der Formen gefangen bleiben, und das Mysterium des Formlosen und seinen Platz im Kreislauf des Lebens nicht erkannt haben.
Form und das Formlose gehören zusammen, genauso wie der Wechsel von Ausdehnung und Zusammenziehung Balance und Harmonie bringt.(….)
(Übersetzt von Otto Raich aus: Seasons of the Sacred: Reconnecting to the Wisdom within Nature and the Soul von Llewellyn Vaughan-Lee, Ph.D, Verlag The Golden Sufi Center, 2021)
Der Winter ist eine Zeit der Rückkehr zur Innerlichkeit, Gelegenheit zum Inne – halten, zur Innenschau. Im Winter können wir uns ganz besonders getrauen, uns in der Meditation ganz dem „Nichts wollen, nichts müssen, nichts sollen“ hinzugeben.
Und der Winter gibt auch Zeit und Gelegenheit zum Reflektieren, in welchen Bereichen wir uns im Einklang fühlen und in welchen sich vielleicht eine Veränderung ankündigt.
Bild: „Winter“ aus dem Buch Seasons of the Sacred: Reconnecting to the Wisdom within Nature and the Soul von Llewellyn Vaughan-Lee, Ph.D, Verlag The Golden Sufi Center, 2021
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